Kastell Windsor

Lost in Paradise BEN (Flüchtlingslager Kastell Windsor), Donnerstag 09.10.2014, 13:00 Uhr: Am Nachmittag besuchen wir die Unterkunft im „Kastell Windsor“ bei Rettenbach. Der Name hat uns im Vorfeld schon Schmunzeln gemacht, die Lage im Naturschutzgebiet „Hölle“ noch mehr. Wir fahren auf kleinen Landstraßen durch eine oberpfälzische Hügellandschaft, fahren durch ein kleines Waldstück und erreichen die Unterkunft. Als wir aussteigen, kommt uns schon ein kerniger Mann mit Vollbart entgegen, begrüßt uns herzlich und hält einen Dublin-Bescheid in die Höhe, zu dem er Fragen hat. Hans arbeitet in der Unterkunft, oder ist ehrenamtlich da, so ganz wissen wir das nicht. Jedenfalls ist er kurzfristig zum Hobbyjuristen, Chauffeur und Sozialarbeiter geworden, um sich um die neuen Gäste zu kümmern. BAGIN – „Beherbergung ausländischer Gäste in Not“, so hat Wolfgang, der Pächter des idyllisch gelegenen ehemaligen Erholungszentrums, die Unterkunft genannt, als vor einem Jahr die Idee aufkam, man könnte hier Flüchtlinge unterbringen. Bevor er konkreter mit dem Landratsamt gesprochen hat, riefen er und seine MitstreiterInnen zu einer Bürgerversammlung auf. 150 Menschen kamen, die Stimmung war geteilt, man vereinbarte eine „Probezeit“ von sechs Monaten. Später, nach Ablauf der Frist, kamen nur noch 20 Leute zur einberufenen Versammlung. Das Thema interessierte kaum mehr, die befürchteten Probleme hatte es nicht gegeben. Auf dem weitläufigen Gelände stehen drei Gebäude, Rustikanum, Langhaus und Haupthaus. Dazwischen Wiese, alte Bäume, Bierbänke, eine Stelle zum Holzhacken. Man würde gerne hier Urlaub machen und abends zusammen mit Wolfgang, Hans und Uli, die mittlerweile auch dazugekommen ist, am Lagerfeuer sitzen. 37 Asylsuchende, ausschließlich Familien, sind mittlerweile untergebracht hier im BAGIN. Die Zimmer sind groß, zwei Familien teilen sich jeweils eine Küche, Toiletten und Duschen gut in Schuss. Im Erdgeschoss ein Raum mit Sofas, Fernseher, Computertisch. Gefühlt: Vierte Klasse Landschulheim. Wolfang, Hans und Uli erzählen, was sie so alles machen, um den Gästen in Not einen angenehmen Aufenthalt zu bieten. Drei mal pro Woche bieten sie gemeinsam mit anderen Ehrenamtlichen Deutschkurse im Haus an. Hans hat einen Kurs zum Asylberater bei Amnesty gemacht. Fahrservice zur Behörde, zum Einkaufen, zu FreundInnen in der Wörther Unterkunft und zu Gottesdiensten in der Muttersprache. Gemeinsame Radlwerkstatt in der Garage. Anfangs hatten sie noch Vollverpflegung für die Gäste. Wie bereits in Wörth haben sich auch hier die BewohnerInnen darüber beschwert: Nicht essen, wann man möchte. Nicht kochen, was man mag. Der Vertrag inklusive Vollverpflegung mit dem Landratsamt läuft noch bis Jahresende. Vorübergehend haben die drei deshalb ein offenes Bestellsystem eingeführt. Sie kaufen ein, was die Gäste gerne mögen. Trotzdem wurden Küchen bereits ausgebaut. Wenn der Vertrag erneuert wird und die Flüchtlinge dann Bargeld bekommen statt der Vollverpflegung, können sie selbst einkaufen und kochen. Alles in allem: Von wegen Hölle, Paradies! Oder doch nicht? Das Kastell Windsor liegt abseits, gelegen zwischen einigen kleinen Weilern. 29 km Richtung Wörth, 34 km Richtung Regensburg. Idyllisch eben. Zwei mal am Tag hält ein Bus drei km entfernt vom BAGIN. Der Besuch von Beratungsstellen, ÄrztInnen, Therapie, FreundInnen und Veranstaltungen erfordert tagelange Vorbereitung. Wer das Stadtleben gewöhnt ist, leidet unter Einsamkeit. Die BewohnerInnen sagen: „This place is good for holidays, but we are not on holidays!“ Uli ist das bewusst: „Was wir hier schön finden, ist für die Leute manchmal 'ne Katastrophe!“ Eigentlich ist es ganz cool in der Hölle, aber die BewohnerInnen fühlen sich irgendwie doch wie verloren im Paradies.