Roßdach

Lost Lives in Roßdach MATTHIAS (Flüchtlingslager Roßbach), Samstag 11.10.14, 14.30 Uhr: Wir fahren durch herbstliche Landschaften. Beschauliche Ortschaften mit viel Fachwerk werden abgelöst von weiten Acker- und Weideflächen und bewaldeten Hügeln. Auf einem Hügel fallen uns die Silhouetten einer Burg und einer Kirche ins Auge. Wir sind heute ein amtlicher Konvoi von fünf Fahrzeugen: Am Kopf der Kolonne lotst uns eine Ehrenamtliche in ihrem Kleinwagen, dann folgen wir mit einem kleinen Transporter und unserem Wohnmobil und das Ende bilden zwei Autos eines Fernsehteams von Campus-TV aus Bayreuth. Ein Audi der Bamberger Kriminalpolizei, die uns beim Besuch der letzten Unterkunft beobachtet hatte, ist uns auf der Strecke abhanden gekommen. Unser gemeinsames Ziel: die Gemeinschaftsunterkunft „Berghof“ oberhalb des 100 Seelen-Weilers Roßdach, in der derzeit etwa 50 Flüchtlinge leben (müssen) Das ehemalige Landhotel, dass seine besseren Tage offensichtlich schon sehr lange hinter sich hat, steht alleine auf einer Anhöhe und bietet einen Ausblick auf grüne Hügel, die Bauernhöfe Roßbachs und jede Menge Wald. Wir werden erwartet. Eine ehrenamtliche Helferin und eine bunte Truppe BewohnerInnen haben sich vor dem Eingang versammelt. Wir wollen reden. Vor der Tür werden grüne Plastikstühle zu einer Runde aufgestellt. Es gäbe zwar einen großen Gemeinschaftsraum, den ehemaligen Gastraum, aber der ist verschlossen und wird nur geöffnet, wenn ein Deutschkurs stattfindet. So reden wir halt im Freien und hoffen darauf, dass wir von Regen verschont bleiben. Eine junge Frau aus Albanien bringt uns Kaffee und wir starten unsere improvisierte Runde. Ich frage nach dem Verhältnis zu den Roßdachern. Eine Bewohnerin missversteht mich und schwärmt davon, dass sich hier im Haus alle gut verstehen. „Wir helfen uns gegenseitig und haben auch Spaß miteinander.“ Tatsächlich ist die Stimmung zwischen den Bewohnerinnen und Bewohnern gut, es werden Späße gemacht und es wird viel gelacht. Aber ein Unterschied ist ebenfalls auszumachen. Diejenigen sind laut und aufgeweckt, die erst seit einigen Monaten in Roßbach sind. Wer hier schon seit längerer Zeit lebt, macht auf uns eher angespannten und bedrückten Eindruck. Als ich nachhake und meine wie es denn jetzt um das Verhältnis zu den Leuten aus dem Dorf bestellt ist, bekomme ich von allen die gleiche Antwort: Es gibt keinen Ärger, aber wir haben keine Kontakte und kennen niemanden aus dem Dorf. Was ist denn eigentlich das größte Problem hier, hake ich nach. Eine energische junge Frau mit rot gefärbten Haaren ergreift das Wort: Es ist die Langeweile. Wir können hier einfach nichts machen. Für jemanden der eine Kur machen möchte, ist das sicher ideal. Hier gibt es viel frische Luft und Ruhe. Aber uns macht das hier krank. Das ist verlorene Zeit. Lost time. Die BewohnerInnen wünschen sich sehr, endlich einen Internetanschluß zu bekommen, um Kontakt zur Außenwelt aufnehmen zu können. Das scheitert aktuell jedoch an bürokratischen Hürden. Aber wir erfahren, dass die Initiative Freund statt Fremd sich um eine Lösung bemüht, den Leuten zu Internet zu verhelfen. Ich werde auf ein somalisches Paar hingewiesen, dass dringend mit mir sprechen möchte. Mit der Hilfe eines Mannes, der per zwischengeschaltetem Handy übersetzt, erfahre ich, dass das Paar verzweifelt versucht, von Roßbach wegzukommen. Die Frau ist hochschwanger und die Geburt soll in den nächsten zwei Wochen stattfinden. Der Mann erklärt: Wie soll ich die sieben Kilometer zum Einkaufen gehen, wenn ich gleichzeitig jeden Moment für meine Frau da sein muss? Beide wünschen sich nur, dass sie eine Bleibe finden, von der sie schnell einen Arzt erreichen und wo sie sich zudem versorgen können. Auch ein junger Mann aus dem Irak will dringend aus Roßdach weg. Er lebt hier zusammen mit seiner krebskranken Mutter in einem kleinen Appartement. Seine Mutter muss regelmäßig in die Klinik. Sie ist auf ihn angewiesen, denn er muss für sie übersetzen. Wenn er abends die Klinik verlässt, hat er keine Chance öffentlich zurück nach Roßbach zu fahren und ist auf ein Taxi angewiesen. Kosten einfach: 40 €. Eine Frau kommt mit einem Kombi. Sie bringt eine Plastikrutsche, Kleiderspenden und Kinderspielsachen mit. Sie parkt das Auto unten auf dem Parkplatz, entläd die Spenden und stellt sie an einem Laternenmast ab. Dann fährt sie wieder ab ohne Hallo zu sagen. Gemeinsam tragen wir mit den Flüchtlingen die Spenden zum Haus und die Bewohnerinnen teilen die Klamotten und Spielsachen völlig entspannt unter sich auf. Der schwangeren Frau wird ein Karton mit Kinderklamotten in die Hand gedrückt. Ich schnappe mir die Kinderrutsche und frage ob ich die nicht auf die Wiese vor dem Haus stellen soll, das sei doch viel netter. Eine Betreuerin erklärt mir. Auf die Wiese geht hier niemand, denn es gibt hier Schlangen: die Blindschleichen und Kreuzottern machen allen Angst. Von der Ehrenamtlichen erfahren wir, dass das Landhotel schon lange nicht mehr als Hotel genützt wird. Der Tourismus in Roßbach laufe nicht. In Scheßlitz ginge ein Hotel, aber hier sei man zu abgelegen. Sie erzählt uns, dass das Haus schon einmal in den 1990er Jahren als Flüchtlingsunterkunft genützt wurde. Aktuell ist es seit 2011 von Flüchtlingen bewohnt. Ursprünglich wurde der Gasthof als dezentrale Unterbringungsmöglichkeit mit dem Hoteleigner als privatem Betreiber eingerichtet. Mittlerweile wurde die BewohnerInnenzahl auf über 50 aufgestockt und das Hau s wird als sogenannte Gemeinschaftsunterkunft von der Regierung von Oberfranken betrieben. Das Roßdacher Lager hat einen schlechten Ruf. Wir erfahren, dass die Umverteilung hierher den Charakter einer Bestrafung hat. Hierher werden gern Querulanten und Problemfälle geschickt, erfahren wir hinter vorgehaltener Hand. Die Ausstattung ist spartanisch. Eine winzige Rumpelkammer, ausgestattet mit einem Elektroherd und einer Spüle dient als Küche für 16 Personen. Mindeststandards sind nicht vorhanden. So musste die ehrenamtliche Initiative dafür kämpfen, dass das Haus ein Festnetzanschluß erhält von dem die Bewohnerinnen zumindest einen Notruf absetzen können. Der Handy-Empfang ist schlecht, die Verkehrsanbindung eine Katastrophe. Es gibt zwar mittlerweile einen Rufbus, also einen Kleinbus den man bestellen kann und der einem dann zur nächsten regulären Bushaltestelle bringt, aber wer um 9 Uhr fahren will, muss bereits einen Tag im voraus buchen. Verständigungsprobleme mit der Leitstelle führen dazu, dass der Bus auch dann oft nicht kommt, obwohl dieser Service fast ausschließlich von den Flüchtlingen genutzt wird. Bamberg ist 40 Minuten Busfahrt entfernt. Der letzte Bus Richtung Roßbach geht bereits um 18.30 Uhr, danach geht nichts mehr. Teilhabe am kulturellen Leben jeglicher Art ist somit völlig ausgeschlossen. Wer keine Freunde in Bamberg hat, bei denen er mal übernachten kann, der bleibt in Roßdach – ohne Perspektive. Wer zur Befragung nach Zirndorf muss, ein Termin, der gern auf 8.00 Uhr gelegt wird, der hat ein dickes Problem. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ist das nicht zu schaffen. Die Busfahrt nach Bamberg kostet 4.00 €. Bei dem wenigen Taschengeld müssen die Fahrten daher sparsam dosiert werden. Der nächste Arzt befindet sich in Scheßlitz, in acht Kilometer Entfernung. Bei Notfällen kann der Notarzt gerufen werden, was aber auch nicht immer reibungsfrei klappt, wie uns eine Ehrenamtliche schildert. Als ein Bewohner unter schweren Krämpfen litt, gelang es den Bewohnern einfach nicht, den Notarzt nach Roßbach zu bewegen. Erst als die Ehrenamtliche angerufen wurde, konnte sie erreichen, dass sich ein Notarztwagen nach Roßbach bewegte. Ein Verwalter ist Wochentags zu Bürozeiten anwesend, wenn er nicht gerufen wird um in einer anderen Unterkunft auszuhelfen. Eine Sozialarbeiterin schaut einmal pro Woche vorbei und dann gibt es noch eine Handvoll ehrenamtlicher HelferInnen – ansonsten sind die Menschen sich selbst überlassen. Rossdach ist ein Abstellgleis – unmöglich, sich hier zu integrieren, die Sprache zu lernen oder Arbeit zu finden.