Friesen

„Bei aller Liebe …“ STEPHAN (Landhotel Friesen) Samstag 11.10.14, 11.00 Uhr: Heute Vormittag wollten wir eine Unterkunft besuchen, in der es wirklich gut klappen sollte. Als wir am Ortseingang von Friesen im Landkreis Bamberg rechts abbiegen und eine baumgesäumte Auffahrt hinauffahren, glauben wir unseren Augen nicht zu trauen: gepflegte Rabatten und bekieste Fußwege führen zu einem größeren Bau mit Panoramascheiben unter hohen Dächern. Landhaus Friesen, Hotel & Restaurant heißt es am Eingang, und den Eindruck macht es auch auf uns. Das soll eine Unterkunft für Flüchtlinge sein? Wir parken und steigen aus. Am Haus werden wir von einer Vertreterin der örtlichen Initiative für Flüchtlinge „Freund statt Fremd“ empfangen, vom Hausherrn und seiner Frau, sowie von einer Asylsozialberaterin der AWO. Die Atmosphäre ist locker, wir sind entspannt und wollen, nach der Besichtigung einer Reihe eher schäbiger Unterkünfte, uns gern zeigen lassen, dass eine menschliche und auch ansprechende Unterbringung von Flüchtlingen möglich ist. Oberhalb des Anwesens ist eine Obstwiese, wo Tore auf dem etwas abschüssigen Rasen stehen. Vom Besitzer werden wir zunächst hinter eine große offene Halle geführt, die bis unters Dach mit Holzschnitzeln gefüllt ist. Er betreibt ein Geschäft mit Holzpallets, und auch die Beheizung des Anwesens ist darauf ausgelegt, eine sehr kostengünstige Form der Energie, wie uns der Besitzer versichert. Seitlich der Halle stehen jedoch erst mal die Mülltonnen, und der Besitzer erklärt uns stolz, dass auch die 35 Flüchtlinge, die im ehemaligen Hotel wohnen, sich ausnahmslos und erfolgreich an der Mülltrennung beteiligen. Er habe, erklärt er, mit den Flüchtlingen Regeln ausgemacht, was wichtig für ein positives und reibungsloses Zusammenleben sei. An der Halle vorbei führt er uns schließlich zur Rückseite, wo ein Blechdach mehr als 20 Fahrräder vor Regen schützt. Das hätten die Flüchtlinge selbst gebaut, sagt uns der Besitzer. Wir stehen vor dem Haus rum, lassen uns erklären, dass der Besitzer beste Beziehungen zur Ausländerbehörde hat. Eigentlich sollte das ein schönes kleines Hotel sein, mit gutem Service, ein bisschen öko und rauchfrei. Im Kellergeschoss sehen wir eine Tafel mit Artikeln aus der örtlichen Presse, wo von Wohnen und Speisen im Toskana Stil die Rede ist. Das Projekt funktionierte allerdings nicht. Nachdem der Hotelbetrieb nicht in Gang kam, und auch das Restaurant mangels örtlicher Nachfrage schließen musste, habe Herr D. mit seiner Frau zunächst versuchsweise acht Asylsuchende aufgenommen. Das habe sehr gut geklappt, und wenig später habe man begonnen, die meisten Zimmer an Flüchtlinge zu vergeben. Nur hier und da käme noch ein Hotelgast daher. Mit den Flüchtlingen habe man beste Erfahrungen gemacht, und man verstehe die Unterbringung auch als ein soziales Projekt. Die soziale Ader hätten Herr D. und seine Frau aus ihrer früheren Beschäftigung bei einer Privatkrankenkasse mitgenommen. Nun mit den Flüchtlingen könne man auch was Gutes zurückgeben. Flüchtlingsleben im Toskana Stil Wir werden in den Speisesaal gebeten. Ein Blick in die Restaurantküche, wo uns drei Flüchtlingsfrauen etwas verschüchtert anlächeln. Alles blitzblank, so muss es sein, sagt Betreiber D. Das habe er den Flüchtlingen beibringen müssen. An der Wand des Restaurants ein Tisch für das Frühstücksbuffet, alles, wie man es aus einem üblichen Hotelbetrieb kennt. Wir werden gebeten an an einem breiten Konferenztisch Platz zu nehmen. Kaffee und belegte Semmeln stehen bereit, dazu gekühltes Quellwasser. Herr D. begrüßt uns noch einmal, wir machen eine Vorstellungsrunde, und Herr D. holt dann aus und berichtet von seinen guten Erfahrungen mit Flüchtlingen und der guten Zusammenarbeit mit der ehrenamtlichen Initiative. Deutschkurse gebe es zweimal wöchentlich, einmal die Woche gibt es Musikunterricht. Ein Schwimmkurs sei in Planung. Wenn Flüchtlinge in die Stadt müssten nach Hirschaid, zum Beispiel zum Arzt, sei es oft möglich, dass Frau D. sie mit dem Auto hinunterfährt. Von Hirschaid ist es nicht weit nach Bamberg, die S-Bahn Anbindung sei sehr gut. Auch mit den Nachbarn und DorfbewohnerInnen sei das Verhältnis gut, nach anfänglichem Misstrauen, die Kinder seien gut integriert, erzählt Frau D., wird aber gleich von ihrem Mann unterbrochen, der die Erzählung weiterführt. Herr D. unterstreicht, dass seine Frau und er keine Mühen scheuen würden, um die Flüchtlinge zu unterstützen. So viele Sachen würden sie machen, zu denen sie keineswegs verpflichtet wären. Aber gleichfalls, so unterstreicht er, müsse man den Flüchtlingen beibringen, welche Regeln hier in Deutschland und Europa gelten. Er vermittle das den Flüchtlingen sehr deutlich. Ein Flüchtling, der die Stelle eines Hausmeisters auf den Anwesen einnimmt, habe Herrn D. erzählt, dass er mit Anzug mehr Autorität vermittle. „Jetzt bist Du richtiger Chef“, habe der Flüchtling gemeint. Seitdem zieht Herr D., wenn er neu angekommenen Flüchtlingen die Hausordnung und die Regeln erklärt, immer seinen Anzug an. Die Flüchtlinge bräuchten ja Führung, sonst würde schnell alles drunter und drüber gehen, verdrecken, kaputt gemacht. So etwas könne und würde er nicht dulden, so Herr D. Sauberkeit und Ordnung, das sei die Grundlage für ein gesundes Zusammenleben. Die Führung der Flüchtlinge sei das A und O. Das wird meinem Kollegen Alex dann doch zu viel. „Ihm stelle es leise die Fußnägel auf“, meint er ob der dauernden Betonung, man müsse die Flüchtlinge „führen“. Das, empört sich Herr D., müsse er sich nicht bieten lassen, dass man ihm hier unlautere Absichten oder Nähe zu rechten Gedanken unterstelle. Wollte Alex etwa behaupten, er sei ein „Führer“? Erregt betont er seine besten Absichten für die Unterbringung der Flüchtlinge, das lasse er sich nicht kaputt machen oder in den Dreck ziehen. Alex rudert zurück, versucht unser Unbehagen angesichts eines Übermaßes an „Fürsorge“ zu erklären. Ein Mitglied der Initiative versucht zu vermitteln, bietet an, statt „Führer“ wäre doch die Bezeichnung „Herbergsvater“ vielleicht angemessener zur Beschreibung der Position Herrn D.‘s. Es gibt einige betretene Versuche, von der Stimmung zu retten was zu retten ist. Herr D. beruhigt sich wieder, kommt aber nicht mehr so richtig in den Tritt. Wir schlagen vor, nun vielleicht noch ein paar Zimmer anzuschauen und mit Flüchtlingen zu reden. Herr D., der die Unterhaltung der Runde am Tisch fast gänzlich allein bestritten hat, lenkt ein, und mit ein paar abschließenden Worten hebt er die Tafel auf, zur Erleichterung aller. Wir begleiten den Mann, der als Hausmeister arbeitet, und uns sein Zimmer zeigen will. Auf den ersten Blick ist nichts zu bemäkeln, gediegene Einrichtung, alles sehr aufgeräumt, Schrank, Kommode, zwei Nachttische beiderseits des Doppelbetts. Allerdings teilt er sich Zimmer und Bett mit einem weiteren Flüchtling. Als wir fragen, ob es nicht angenehmer wäre, wenn sie in getrennten Betten schlafen würden, nickt er heftig, enthält sich aber weiterer Kommentare. Auch die anderen Flüchtlinge mit denen wir versuchen ins Gespräch zu kommen, loben das Haus, und allen gehe es gut. Wir werden aber eine leichte Beklemmung nicht mehr los, und verabschieden uns bald. House of broken dreams Auf dem Weg zur nächsten Unterkunft Roßdach, uns als abgelegen und schäbig angekündigt, halten wir noch für einen Kaffee. Wir sind unentschlossen, wie wir das Hotel Friesen beurteilen sollen. Einerseits ist dies mal eine Unterkunft, die sich nicht durch Sperrmüll-Mobiliar, Kaserneninterieur und elendige Verhältnisse auszeichnet. Eher ist dies ein Hotel für Flüchtlinge. Auch die Kooperation mit Ehrenamtlichen läuft, es gibt Angebote, der Weg in die Stadt ist gut machbar. Andererseits haben wir das Gefühl, hier einer Ersatzhandlung beigewohnt zu haben. Nachdem der Traum vom Hotelchef geplatzt ist, wird hier nicht eine Flüchtlingsunterbringung in Hotelambiente betrieben, sondern wir haben den Eindruck, dass die Flüchtlinge benutzt werden, um den Hoteltraum weiterzuleben. Eine Hotelsimulation mit Flüchtlingen als lebendem Inventar. Ein zweiter Aspekt ist uns aufgestoßen: die penetrante Darstellung der Unterbringung als soziale „gute Tat“. Wir wissen, dass die Regierung Tagessätze bis zu 20 Euro pro Flüchtling verhandelt. Bei 35 Flüchtlingen macht das eine Tageseinnahme von 700 Euro, auf ein Jahr gerechnet ist das eine Viertelmillion Euro. Selbst wenn Herr D. vielleicht nicht ganz den Höchstsatz herausgehandelt hat, so bleibt doch ganz schön was hängen, während er ohne die Flüchtlinge Hotel und Restaurant hätte abschreiben können. So sind die Flüchtlinge nicht nur die Statisten eine Hotelsimulation, sondern auch gleich die notwendige finanzielle Basis, um den Traum vom Hotelchef fortzuführen. Auch wenn das mit großem Abstand die edelste Unterbringung von Flüchtlingen ist, die wir auf der Tour gesehen haben: die dafür notwendige Unterwerfung unter den patriarchalen Führungsstil ist ein sehr hoher Preis. Gemessen daran, dass Flüchtlinge, sind sie einmal einer Unterkunft zugewiesen, sich auch nicht mal schnell was anderes suchen dürfen, ist das Hotel eine Falle. Als wir später nach Roßdach kommen, sehen wir noch eine Folge des Hotelprojekts. Wir treffen Flüchtlinge, die aus dem einen oder anderen Grund nicht „gepasst“ haben. Dank der guten Beziehungen Betreiber D.s zur Ausländerbehörde wurden diese Flüchtlinge schnell in andere Unterkünfte wegverteilt.