Pflaumheim

Die Sehnsucht nach einem normalen Leben STEPHAN (Flüchtlingsunterkunft Pflaumheim), Sonntag 12.10.14, 15.00 Uhr: Gibt es in Bayern Unterkünfte, wo es gut läuft, wo bei aller Dramatik derzeitiger Flüchtlingsunterbringung, bei allen Unsicherheiten, die Asylverfahren und Behördengänge mitbringen, eine Art positiver Normalität herrscht? Wir sind geneigt, dies der Unterkunft in Pflaumheim zuzuschreiben, allerdings auch in dem Bewusstsein, dass die vorher erfahrenen geballten Schäbigkeiten unsere Ansprüche drücken. Pflaumheim ist ein Stadtteil von Großostheim, all das im Landkreis Aschaffenburg. Die dortige Ausländerbehörde vollzieht auch deutsches und bayerisches Ausländerrecht, aber, wie uns auch kritische Geister wie Kerstin Richmond vom Freundeskreis für Flüchtlinge bestätigen, mit einem gewissen Augenmaß. Die Unterkunft in Pflaumheim hat einiges, was sich strukturell positiv auf die Situation der dort lebenden Flüchtlinge auswirkt. Das Haus liegt in einem Wohngebiet, man kann zu Fuß zum Einkaufen gehen, man kommt schnell und auch nicht zu teuer ins nahe gelegene Aschaffenburg. Die Unterkunft unterscheidet sich nicht groß von den umliegenden Häusern, es ist gut in Schuss, weiß getüncht. Seit den 1980er Jahren ist klar und gut dokumentiert, dass jede Form der sichtbaren Abgrenzung von der umliegenden Wohnbevölkerung und –bebauung die Charakteristik eines Lagers verstärkt, und damit zu beiderseitigem Misstrauen und Kommunikationsbarrieren zwischen Flüchtlingen und anderer Wohnbevölkerung führt. Bayern hält trotzdem an Sammellagern und euphemistisch „Gemeinschaftsunterkünften“ genannten Einrichtungen fest. In Pflaumheim ist davon nicht viel zu bemerken. Als wir unseren Camper parken, warten schon einige Flüchtlinge, durchweg Männer, am Eingang auf uns. Der Eindruck täuscht: es sind hauptsächlich Familien, die hier untergebracht sind. Mit den Männern aus Somalia, Syrien oder dem Iran wartet Georg auf uns. Er ist pensionierter Beamter, und einer der Ehrenamtlichen aus Pflaumheim, die sich für die Flüchtlinge engagieren. Wenn ein Lager kein Lager ist Wir machen eine kleine Runde durch ein paar Zimmer, treffen da auch die Frauen an. Die Apartments sind geräumig, mit Nasszelle und Kochzeile und machen einen freundlichen und aufgeräumten Eindruck. Wegen eines Wasserrohrbruchs mussten Leute im Haus umziehen, der Gemeinschaftsraum steht deshalb gerade nicht zur Verfügung. Natürlich wäre es für die Familien vielleicht auch wünschenswert, wenn die Kinder ein extra Zimmer hätten, aber wir hören nur Zufriedenheit ob der Unterbringung, und auch wir haben nichts auszusetzen. Die Probleme der Flüchtlinge sind andere: wie lange dauert noch die Bearbeitung des Asylantrags, wann ist mit einer Entscheidung zu rechnen? Wir können nicht helfen, verweisen auf die chaotische Situation beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die nicht einmal die Registrierung neuer Flüchtlinge in den Griff bekommen. Andere Fragen drehen sich um das magere Angebot von Deutschkursen, oder um die Möglichkeiten, eine Arbeit zu finden und auch eine Erlaubnis zu bekommen. Das sind Sachen, die ehrenamtlich unterstützt, aber nicht gelöst werden kann. Die Initiative, die hier die Flüchtlinge unterstützt, bietet zwei Mal die Woche Deutschunterricht an, und hilft vielen auch bei Behördensachen. Wir holen ein Paket Informationsmaterial aus dem Auto, vielleicht hilfreich für die eine oder andere Frage. Unterstützung, nicht Händchen halten Georg beschreibt die Situation aus seiner Perspektive, und die ist auf Integration ausgerichtet. Auch er kann sich über den Hausbesitzer nicht beklagen. Die Probleme liegen eher darin, dass die Flüchtlinge große Unsicherheit bezüglich ihrer Aufenthaltssituation haben. Die Arbeit der Initiative ist Hilfe in allen möglichen alltäglichen Dingen, aber vor allem auf die Verbesserung von Deutschkenntnissen und Arbeitsmöglichkeiten gerichtet. Georg weist auf die Männer, die neben uns stehen und zum Teil schon passabel Deutsch sprechen. Fast alle seien gut ausgebildet, der Mann neben ihm sei Informatiker, ein anderer Virologe. Es sei unfassbar, dass die Leute ihre Kompetenz nicht einsetzen könnten, sondern hier die Hände in den Schoß legen müssten während des langen Wartens auf eine Entscheidung im Asylverfahren. Die größte Herausforderung sei es, die Flüchtlinge davon abzuhalten, dass sie in Lethargie und Depression verfallen ob dieser verordneten Untätigkeit. Da helfe er gern. Dem Virologen hat er einen Kontakt zum Roten Kreuz vermittelt, dort ist er nun ehrenamtlich aktiv. Ein Ersatz ist das nicht, aber wichtig sei erst mal, so Georg, dass die Flüchtlinge selbst Kontakte knüpfen. Eine Initiative kann ein bisschen was tun, aber wer integriert ist in Vereine und Netzwerke, der macht nicht nur Fortschritte beim Sprachenlernen, sondern kann Leute kennenlernen, am gesellschaftlichen Leben teilhaben, und schließlich darüber vielleicht auch einen Job finden. Georg fragt uns, ob er sich in rechtlichen Fragen an uns wenden dürfe, und klar, natürlich kann er das. Wir verabschieden uns herzlich von ihm und den Flüchtlingen. Hier gibt es – wir sind erleichtert – für uns nicht viel zu tun.