Altdorf

Grauer Durchschnitt JULIA (Flüchtlingslager Altdorf), Mittwoch 08.10.2014, 12:30 Uhr: Die Unterkunft in Altdorf ist keine der Schlimmsten. Keine Baracke, kein Container, sondern ein gewöhnliches – wenn auch heruntergekommenes – Wohnhaus. Keine Felder, Wiesen und Wälder nebenan. Sondern: Fünf Minuten Fußweg zur nächsten Bushaltestelle, etwa 25 Minuten zum Landshuter Hauptbahnhof. Im ersten Stock wohnen elf Männer und Frauen zusammen, meist zu zweit in einem Zimmer. Familien sind in den Stockwerken über und unter ihnen untergebracht. In den verwinkelten, schmalen Zimmern stehen zwei Einzelbetten aus rauen Holzplatten. Jede*r Bewohner*in hat eine Ecke. Um ihr Bett herum haben viele das kleine Stück Raum gestaltet, das ihnen zugeteilt wurde, ein kleines Stück eigene Wohnfläche. Und so schmückt einmal eine Blumenvase das kahle Zimmer, im anderen „Refugees welcome“ und „Stop Nazis“ Poster. Unser türkischsprachiger Gastgeber steht vor den samtigen, dunkelroten Vorhängen am Fenster und raucht eine selbstgedrehte Zigarette. Er blickt auf die graue Werkstatt gegenüber, vor der sich Ziegelsteine und Fließen stapeln: „We never know what they are working“. Er erzählt dass er nachts nicht schlafen, die Dunkelheit nicht ertragen kann – und deutet Erinnerungen an einen  Gefängnisaufenthalt mit Folter an. Um seinen Zimmernachbarn nicht zu wecken, geht er Nachts an die nahe gelegene Isar, auf Fußballplätzen spazieren oder sitzt in der Eckbank in der Küche und wartet auf die Müdigkeit, die meist in den frühen Morgenstunden kommt. Wenn sein Zimmernachbar aufsteht, legt er sich hin. Nun geht er seit zwei Wochen jeden Morgen an den Briefkasten vorm Haus um nachzusehen ob ein Brief vom Landratsamt gekommen ist – seine Arbeitserlaubnis. Er könnte nachts schlafen, wenn er tagsüber beschäftigt wäre. Und wenn er arbeitet, kann er aus der Unterkunft ausziehen – ein Arbeitgeber hat ihm auch ein Zimmer angeboten. Schlecht ist es hier nicht, sagt er, und einige der anderen Bewohner*innen stimmen  ihm zu. Viele haben andere Unterkünfte gesehen, waren mit deutlich mehr Menschen auf einem Zimmer und demselben Flur. Dennoch,  selbstbestimmtes Leben sieht anders aus. Fast wirken die kleinen Räume mit den schmalen Betten wie Jugendzimmer, doch dies sind keine Jugendzimmer – hier leben erwachsene Menschen. Alles wirkt etwas grau, die Möbel scheinen lieblos zusammengewürfelt. Im Aufenthaltsraum hat die Feuchtigkeit in einer der oberen Ecken einen hässlichen gelben Fleck hinterlassen.         Beitrag zu Altdorf von Isar TV: Den Beitrag ansehen >>>