Wörth an der Donau

Hähnchenschenkel und Pommes AGNES (Flüchtlingslager Wörth an der Donau), Donnerstag 09.10.2014, 10:00 Uhr: Erste Station unseres Tages: Wörth an der Donau (nicht zu verwechseln mit Wörth an der Isar). Wir fahren in den Hof ein. Das Flüchtlingslager ist ein altes Hotel, der Anblick skurril: Ein großer Gebäudekomplex in einem dunklen Beige mit einem Turm in der Mitte. Karina vom Helferkreis, der sich u.a. in dem Lager um die Leute vor Ort kümmert, erwartet uns. Sogleich kommt der Besitzer hinzu. Er wirkt nervös. Er erzählt, dass er das Gebäude 2008 bei einer Zwangsversteigerung gekauft hat. Seit ca. drei Jahren verpachtet er es an das Landratsamt als dezentrale Flüchtlingsunterkunft. Auf unsere Nachfrage, wieviel er dafür pro Person im Monat erstattet bekommt, lacht er. „Das ist Geschäftssache und wird nicht verraten.“ Hier wohnen derzeit 130 Personen. Karina stellt uns zwei von ihnen vor. J. aus Afghanistan wohnt hier bereits seit drei Jahren, S. seit 17 Monaten. Beide beklagen die Enge, die in dem Lager herrscht: „Ich habe keinen Platz und keine Ruhe, um Deutsch zu lernen“, meint J. In der Regel müssen sich hier die alleinstehenden Männer ein Zimmer teilen. Später werden sie uns ihr Zimmer zeigen. Bezahlte Deutschkurse gibt es sowieso nicht. S. bezahlt seinen Kurs selbst. Diesen besucht er in Regensburg. Auch die Fahrkarte dorthin muss er aus eigener Tasche zahlen. Und das mit 170 Euro im Monat. „Ohne die Unterstützung meiner Schwester würde ich das nicht hinbekommen“, meint er. Seine Schwester wohnt in Hamburg. Seit 15 Jahren. Zu ihr ziehen, darf er nicht. Auch das Essen sei ein großes Problem wie J. meint. „Es gibt immer Pommes“. Meist in der nahrhaften Kombination mit Hähnchenschenkeln und anderen Leckereien, die sich in der Fritteuse zubereiten lassen. Hier werden die BewohnerInnen durch eine Kantine im Haus versorgt, zweimal am Tag gibt es warmes Essen. Selbst kochen, das müssten sie aus eigener Tasche bezahlen. Eben von den 170 Euro Bargeld, die sie bekommen, die aber auch für Handy, Fahrkarten, Anwalt oder Anwältin, etc. reichen müssen. Wir betreten das Lager. Durch den Speisesaal hindurch kommen wir in das mehrstöckige Wohngebäude. J. und S. zeigen uns ihr Zimmer. Es ist gerade mal geschätzte 11 qm groß. Hier stehen zwei Betten und eine Kommode. Unsere Besuchsdelegation füllt es komplett aus. Ihr Hab und Gut haben die beiden unter dem Bett verstaut. Wir können uns in dem Zimmer kaum bewegen. Nebenan wohnt eine Familie aus dem Irak. Sie haben bereits ihre Anerkennung vom Bundesamt bekommen und sind nun auf Wohnungssuche. Und dies seit einem Jahr. Die fünfköpfige Familie findet einfach keine Wohnung in der Umgebung. Sie sind Christen und kommen aus Mossul. Ihre Verwandten befinden sich immer noch dort. „Ich mache mir große Sorgen um meine Familie, sie sind vor ISIS aus Mossul geflohen und in Lebensgefahr“, sagt die Frau und will wissen, ob es eine Möglichkeit gibt, sie nach Deutschland zu holen. Leider müssen wir ihr sagen, dass sich die Innenminister noch nicht darauf einigen konnten, irakische Flüchtlinge unbürokratisch und großzügig einreisen zu lassen, besonders wenn sie Verwandte in Deutschland haben. Das Nebenzimmer bewohnt eine andere Familie. Frau, Mann und zwei Kinder. Die ältere Tochter ist schwer krank, leidet an Epilepsie. In Aserbaidschan ist ihr Leben in Gefahr, die medizinische Behandlung ist nicht gewährleistet. Die Eltern können die Ärzte nicht bezahlen und die Medikamente kosten dort ein Vermögen. Die Kinder mögen das Essen aus der Kantine nicht und hungern lieber. So muss sie von den 400 Euro, die die gesamte Familie an Bargeldleistungen erhält, Essen und alles andere zum Leben einkaufen. Als sie einer Journalistin von den Sorgen um ihre Kinder erzählt, beginnt sie zu weinen. Ich sehe mich in dem großen Gebäude um und mache Fotos. Dicht gefolgt von dem Pächter, der mir nicht ganz zu trauen scheint. Es erfordert einiges an Energie, ihn immer wieder abzuschütteln, um Fotos machen zu können. Als ich es wieder einmal geschafft habe, begegne ich auf dem Gang des obersten Stockwerkes einem jungen Mann. Er spricht mich an und zeigt mir einen Zettel mit der Adresse der Caritas in Regensburg. „Keine Schule“, sagt er in gebrochenem Deutsch. Wir können uns nur schwer verständigen. Das, was ich verstehe ist, dass er aus dem Gaza-Streifen kommt und alleine in Deutschland ist. Er möchte die Schule besuchen. Ich bringe ihn zu Karina, die sich darum kümmern wird, dass er bei der Caritas einen Termin bekommt. Auf dem Weg nach unten kommt mir ein Mann auf Krücken entgegen. Er erzählt mir, dass er gerade eine neue Hüfte bekommen hat. Insgesamt sechs Operationen in zehn Monaten musste er über sich ergehen lassen. „In Armenien hatte ich einen schweren Unfall. Seit ich hier bin, bin ich nur operiert worden“, sagt er. Er wohnt im obersten Stockwerk des Gebäudes und muss daher jeden Tag die Treppen mühsam rauf und runter gehen. „Ich will in eine eigene Wohnung ziehen“, meint er. Auch er hat eine Anerkennung vom Bundesamt und ist auf Wohnungssuche. Unten angekommen gehe ich durch den Speisesaal nach draußen. Es ist gerade Essensausgabe. Natürlich gibt es auch Pommes. Ich kann einen Blick in die Küche werfen und mache schnell ein Foto, aus Angst, der Pächter könnte mich wieder entdeckt haben. Der Koch winkt mich herein und zeigt mir stolz seinen Arbeitsplatz. Ich soll ein Foto von ihm und seiner Mitarbeiterin machen. Der Boden der Küche ist glatt vom Fett der Fritteuse. Das Buffet im Speisesaal wird eröffnet. Gerade mal eine Handvoll der BewohnerInnen bedienen sich daran. Später erfahre ich, dass einer der Bewohner erzählt hat, im Schnitt kämen nur ca. 30 Personen in die Kantine. Alle anderen kochen selbst für sich und bezahlen dies aus eigener Tasche. Beim Anblick des Buffets wird mir auch klar warum: Nahrhaft und ausgewogen sieht anders aus. Hier wird massiv am Essen gespart. Der Pächter allerdings bekommt Geld für seine Unterbringung mit „Vollpension“, bei gutem Verhandlungsgeschick können das bis zu 40 Euro pro Person und Tag sein – 1.200 Euro pro Monat. Bei 130 BewohnerInnen macht das in einem Jahr stolze 1 872 000 Euro, da amortisiert sich die Investition schnell - ein lukratives Geschäft für den Besitzer. Aber so eklig der Gedanke ist, dass er hier mit den Flüchtlingen sein Geschäft macht, umso mehr macht es mich wütend, dass so etwas überhaupt möglich ist.